Von Aristoteles bis Brecht – das Wahlfach Literatur und Theater gestaltet einen Spaziergang durch die Theatergeschichte

Kaum einer der zahlreichen Besucher, die sich am 19. und 22. Juli in der Aula des Gymnasiums Dornstetten einfanden, hätte wohl gedacht, dass er oder sie Teil einer antiken Donnermaschine werden, eine Darstellerin mit Obst bewerfen und nicht zuletzt einer „Person“ begegnen würde, über die die Welt im Moment spricht.

„Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch“ – Das Wahlfach Literatur und Theater präsentiert Theaterepochen von der Antike bis zu Bertolt Brecht.
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„Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch“ – Das Wahlfach Literatur und Theater präsentiert Theaterepochen von der Antike bis zu Bertolt Brecht.

Eingeladen hatte das Wahlfach Literatur und Theater LTH und schon bei der Begrüßung durch Annika Desing wurde klar, dass hier keine gewöhnliche Theateraufführung stattfand. Die Oberstufenschülerinnen und -schüler hatten als Kursleistung Vorträge über die wichtigsten Epochen der Theatergeschichte vorbereitet, die präsentiert werden sollten. Und natürlich konnte es sich bei dem Wahlfach Literatur und Theater nicht um trockene Power-Point-Präsentationen handeln…

Den Anfang machte die Antike: Trotz des stetig präsenten „Budgetmangels“ (Dionysosstatue? Bühnenkran? – Fehlanzeige) erfuhr das Publikum von einem gut informierten Duo (Ruth Sophie Gräbe, Raphael Kübler) alles über die Entstehung des Theaters, über Bühnenaufbau und Schauspieler, Masken und Requisiten, über Komödie, Tragödie, über die fünf Akte und Katharsis. Dabei zeigte sich der auf der Bühne zwangsverpflichtete Chor (immerhin das Fundament des griechischen Theaters) relativ renitent, sodass das Publikum einspringen musste und Verse der „Antigone“ von Sophokles zitierte – „geht doch“, so der Kommentar des Experten. Geht tatsächlich: Bildung und Unterhaltung.

Im zweiten Teil sah eine junge Moderatorin (Maria Herre) ihre Chance zum Durchbruch, als niemand anders als William Shakespeare (Manuel Vogt) auftauchte und ihr ein einmaliges Interview ermöglichte. Noch etwas taumelnd von seinem „fürwahr holprigen Ritt“ aus dem 17. Jahrhundert, sprach er alsbald eloquent über die Renaissance, in der sich eine expandierende Welt neu erfindet, über die Blütezeit des Theaters und das anspruchsvolle und nicht immer aufmerksame elisabethanische Publikum – hier durfte natürlich auch Obst geworfen werden. Erfreut über seinen Einfluss auf die theatrale Nachwelt („Eine Shakespeare Bühne? – Offenbar nach mir benannt!“) gab der Dichter live auf der Bühne eine Kostprobe, wie ein Bühnenbild mit Hilfe der Sprache nur vor dem inneren Auge entsteht: „So schafft er aus einem Baum 1000 Bäume!“. Einzig das Frauenbild („Frauen haben auf der Bühne nichts verloren“) hätte die souveräne Moderatorin bestimmt gerne noch tiefergehend diskutiert, doch dann schien die Luft des 21. Jahrhunderts dem altehrwürdigen Dichter zu sehr zuzusetzen…

Nach der Pause wurde es kontrastreich: Mit der altehrwürdigen Klassik und den Lichtgestalten Goethe und Schiller musste sich ausgerechnet eine Dreiergruppe (Lara Renner, Julia Schneider, Amelie Zinser) auseinandersetzen, deren Hauptinteresse der Frage „Wer geht eigentlich mit wem?“ galt, deren Hauptwissensquelle irgendein „Erklärvideo von Playmobil“ war und deren Sprache den „zwei alten Säcken“ Goethe und Schiller vermutlich die Tränen in die Augen getrieben hätte. So steht die Ehrenfrau Iphigenie zwischen ihrem Sugardaddy und der family, und die bossy Queen Maria Stuart entpuppt sich dann safe als miese bitch. Doch tatsächlich finden Klassik und Generation Insta zusammen: Ist doch Ehrenmann/frau, einer der gönnt, schließlich nichts Anderes als ein Lob für einen Menschen, der dem in der Klassik beschworenen Ideal der Humanität, des besseren Menschen, entspricht. „Ein bisschen Allgemeinbildung“ schadet eben nie – auch nicht in Zeiten von Insta.

Das Moskauer Künstlertheater mit Konstantin Sergejewitsch Stanislawski konnte krankheitsbedingt leider am Samstag nicht vorgestellt werden. Mit ihm wäre man beim Naturalismus, beim möglichst realitätsgetreuen Darstellen angekommen. In der gegenwärtigen Realität, der anbrechenden Zeit der KI, begegnete das Publikum in der letzten Darbietung zwei frustrierten und überforderten Schülerinnen (Freyja Armbruster, Julia Heinzelmann), die „keine Zeit für so’n Scheiß“ wie eine Präsentation für LTH über Bertolt Brecht haben und deshalb den letzten Ausweg in Chat GPT („das, wo die Lehrer alle Angst vor haben“) sehen. Und tatsächlich steht die KI dann „live“ auf der Bühne: Aerisch leicht und beseelt lächelnd beantwortet Kate („Du darfst mich nennen, wie du willst“) im typischen KI Stil Tamaras Fragen und gibt Informationen zu Leben und Werk des Erfinders des Epischen Theaters, zu seinen politischen Ansichten und seinem gewollten Verfremdungseffekt: die Distanz des Publikums zum Stück. Distanzieren wollte man sich tatsächlich von dieser irgendwie unheimlichen Gestalt mit ihrem monotonen Vortrag („D – D – R“), die zwar tatsächlich „alles Wichtige“ weiß und nebenher noch Freizeittipps „in deiner Nähe“ für Tamara auf Lager hat, die jedoch einen eigenen finsteren Plan zu verfolgen scheint („Wie jetzt Mama, da stehen Leute, die zu uns ins Haus wollen???“) …

Die gezeigten Epochenpräsentationen des Kurses erfüllten das Versprechen kurzweiliger unterhaltender Bildung. Am Ende stand der Abschied von der Hälfte der TeilnehmerInnen, die ihr Abitur bereits in der Tasche haben. Kursleiterin Wibke Moog bedankte sich bei allen Mitwirkenden und hob die Besonderheiten von LTH hervor: Hier könne man die Schülerinnen und Schüler anders erleben als im normalen Unterricht, einfach auch mal andere Dinge machen. Zum Abschluss erhielten alle Mitwirkenden Postkarten mit Impulsen, die Verrücktheit der Welt anzunehmen, etwas daraus zu machen und Fehler als Chance zu sehen. Diese Karten sollen den Weg zurück ans GyDo finden, wenn die Darsteller ans Theater denken. Doch nicht nur bei ihnen sondern auch beim Publikum wird sicher das ein oder andere dieses abwechslungsreichen Spaziergangs durch die Epochen hängenbleiben.

 

 

 

 

Bildunterschrift:

„Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch“ – Das Wahlfach Literatur und Theater präsentiert Theaterepochen von der Antike bis zu Bertolt Brecht.